Auf den Spuren der Schlepper

Frühling 2016


Rotterdam und Dordrecht

Text Stefano Butti, Bilder Carmen Wili und Stefano Butti



Wieder einmal sind wir in den Niederlanden und zwar im Frühling, dann wenn es am schönsten ist. Nicht nur die Tulpen und sonstige Blumenpracht, nein in Dordrecht findet alljährlich das grösste Dampffestival Europas statt. Eine Augenweide!

Das Rotterdam schon länger zum Hotspot vieler Schiffsinteressierter gehört ist mittlerweile mehr oder weniger bekannt. Auch wir waren schon mehrmals in dieser modernen Hafenstadt und haben schon einige Bekanntschaften dort geschlossen. Die Niederländer sind allesamt herzensgute Menschen mit viel Lebensfreude und Humor.

Leuvehaven, Bierhaven, Wijnhaven und Oude Haven
Bereits beim Aussteigen aus dem Zug im modernen Bahnhof kann man die Nordsee riechen. Rotterdam ist der grösste Hafen in Europa, vor Antwerpen und Hamburg. Im weltweiten Vergleich liegt die einstige Nummer drei der Welthäfen mittlerweile allerdings schon ziemlich abgeschlagen auf Rang 12. Schanghai, Shenzen oder Singapur sind hier die Favoriten, wir Europäer haben weltweit schon lange nicht mehr viel zu melden, auch wenn wir nach wie vor noch davon träumen. Auch ein politisches Festhalten an den „Guten alten Zeiten“ bringt uns diese also nicht mehr zurück. Um in romantischen Gedanken zu schwelgen sind diese alten Zeiten aber natürlich nach wie vor Gold wert! Ja sogar glänzendes, poliertes Gold, wie die Messingbullaugen, Handläufe, Namensschilder Bugverzierungen und Dampfpfeiffen an den Museumsschiffen im Zentrum von Rotterdam. Neben dem Schifffahrtsmuseum und der Sammlung von alten Hafenkränen liegen sie, im Leuenhafen oder den angrenzenden Hafenbecken. Teilweise sind die alten Schiffe sogar bewohnt oder unternehmen Fahrten, privat oder mit kleinen Gruppen. Rotterdam hat aber auch anderweitig sehr viel zu bieten. Die moderne Architektur dieser Stadt wurde schon dutzendfach ausgezeichnet. Eine bautechnische Meisterleistung ist beispielsweise der Hauptbahnhof oder die Markthalle. Aber auch die Erasmusbrücke, von der einheimischen Bevölkerung liebevoll Schwan genannt, ist ein architektonisches Kunstwerk. Rotterdam bietet sich auch als Ausgangspunkt für Reisen in andere Ecken der Niederlande an. Beispielsweise nach Amsterdam oder Friesland. Auch dort besuchen wir alte Schiffe, insbesondere Schlepper.

Die Niederländer pflegen ihr maritimes Erbe
Mit dem Mietauto geht es frühmorgens ab Rotterdam los. Die Niederlande sind von der Grösse her in etwa mit der Schweiz vergleichbar, die Strecken also in gewohntem Rahmen. In der Rush-Hour um Amsterdam herum und über den „Afsluitdijk“, der 1927 bis 1932 gebaut wurde und die Zuiderzee zum Ijsselmeer geformt hat, fahren wir nach Harlingen und Leeuwarden. Dort besuchen wir eine Werft und diverse alte Schiffe. Wir interessieren uns natürlich vor allem für die alten Schleppboote und insbesondere für deren Maschinen. Die Holländer pflegen ihr maritimes Erbe vorbildlich und für Schiffe gibt es, ähnlich wie bei uns bei den Strassenfahrzeugen, einen Oldtimerstatus mit diversen Erleichterungen gegenüber den sonst üblichen Vorschriften. So sind noch dutzende alte Motoren in Gebrauch, werden gehegt und gepflegt. Die klingenden Namen dieser Motorenbauer wie De Industrie, Kromhout oder Stork sind heute ausgestorben. Die Niederländer waren einst ausgezeichnete Maschinenbauer und sind bis heute in der Schiffstechnik führend. Aber wie das so ist, das wissen auch wir Schweizer mit unseren eigenen klingenden Namen wie Escher Wyss, Sulzer oder SLM, spielt heute nicht mehr die Qualität sondern vor allem der Preis eine tragende Rolle. Schlussendlich muss die Wirtschaft auch wachsen und demzufolge dürfen die heutigen Produkte auch nicht ewig halten; wer kauft den sonst noch was?! In Friesland und Holland finden sich aber, in den historischen Schiffen dieser weitverzweigten Gewässer, noch zahlreiche Zeugen vergangener Tage in betriebsbereitem Zustand, nicht nur Dampf- sondern vor allem auch Dieselanlagen die bei uns längst im Museum stehen würden. Jedes Boot für sich ist also eine Augenweide, auch von Innen!

Von Rotterdam nach Dordrecht
Wieder zurück im Süden steht das Highlight unserer Reise kurz bevor: der Besuch von Dordrecht und der jährlichen Dampfparty, natürlich stilecht angereist mit dem Boot. Die zwei guten Seelen namens Fabio und Edwin aus dem alten Bierhafen haben uns spontan eingeladen mit Edwins Boot nach Dordrecht zu fahren. Natürlich sagen wir nicht nein, eine solche Gelegenheit lässt man sich auf keinen Fall entgehen! Pünktlich um 09.30 Uhr stehen wir deshalb parat. Zuerst werden wir natürlich den anwesenden Kollegen von Edwin vorgestellt: „Goedemorge allemaal. Ik heet Stefano en dat is Carmen. We komen uit Zwitserland, we wonen in Zürich“. Niederländisch ist ja gar nicht so schwer! Schon bald darauf ist das erste Bier fällig, das Erste von Unzähligen. Holländer trinken eigentlich immer Bier. Wir legen ab und extra für uns muss die Brücke geöffnet werden. Eine vierspurige Hauptstrasse mit Radweg mitten im Zentrum von Rotterdam wird am Sonntagmorgen für 5 Minuten unterbrochen; ein privates Partyboot mit knapp zehn Personen an Bord, jeder ein Bier in der Hand haltend, muss auslaufen. Man stelle sich diese Situation einmal bei uns vor! Und die wartenden Leute winken auch noch fröhlich von der Brücke hinunter und freuen sich mit uns! Wir nehmen Kurs flussaufwärts, fahren auf der Nieuwe Maas, einem Mündungsarm des Rheins. Hier gibt es unzählige Flüsse und in jedem fliesst Rheinwasser. Die Gegend heisst „Rijnmond“, Rheinmund. Das Ufer zieht vorbei und mit ihm viele Firmen die im Marinebereich tätig sind, Unternehmen die Bohrinseln bauen, Bergungsfirmen, Werften etc. etc. Sogar die Arche Noah sichten wir am Ufer.

Dampfspektakel
Nach zwei Stunden gemütlicher Fahrt erreichen wir Dordrecht. Hier heisst es Abschied nehmen von Reeder und Kapitän Edwin, Matrose Fabio und den anderen Jungs. Sie werden den Grill anfeuern und z’Mittag essen, wir wollen natürlich noch ein paar andere Schiffe sehen. Alles was historisch ist und schwimmen kann, ist in diesen Tagen hier anwesend. Viele Schiffe aus dem Museumshafen von Rotterdam sind in Betrieb, ein Dampfbagger und natürlich viele alte Schlepper, teilweise Privatboote, teilweise öffentliche Museumsschiffe, bieten hier Fahrten an. Doch auch an Land wird gedampft: Dampfloks, Lokomobile, Dampfpumpen; an jeder Ecke raucht es. Der grösste Star des Events ist der „Stadsgraanzuiger No. 19“ aus dem Museumshafen Rotterdam. Dieser Kornsauger ist der einzige erhalten gebliebene Kornsauger Europas. Mit ihm wurde einst Korn aus den grossen Seeschiffen in die kleinen Binnenschiffe umgeladen. Die Dampfmaschine dieses Ungetüms ist natürlich in Betrieb und treibt die Vakuumpumpe an, mit welcher der Kran einst als übergrosser „Staubsauger“ die Schiffe leersaugte. Wir geniessen das Spektakel ausgiebig und natürlich auch die schöne Kulisse. Dordrecht ist die älteste Stadt Südhollands und liegt umgeben von den Rheinarmen Merwede und Noord auf einer Insel. Die historische Stadt ist eine Sehenswürdigkeit, auch ohne „Dordt in Stoom“. Nach vielen Eindrücken, darunter auch alte Schweizer Postautos, besteigen wir schliesslich den Waterbus nach Rotterdam und sind in einer Stunde bereits wieder am Fusse der Erasmusbrücke. Am nächsten Tag startet schon wieder unser Flugzeug nach Zürich. Es war wieder einmal herrlich in Holland! Wir kommen wieder.