Mein Name ist Boroysund


Ein nautisches Märchen - Flensburg 2015

Text Carmen Wili
Fotos Carmen Wili, Stefano Butti sowie div. Postkarten und Literatur-Scans


Mein Name: DS Boroysund. Heute bin ich ein norwegisches Museums-Dampfschiff, das 1908 erbaut wurde. Bis Ende der 50er-Jahre war ich als Passagierfähre im Einsatz. Das war zwar anstrengend jedoch eine wunderbare Zeit. Danach lag ich auf dem Trockenen und durfte mich erholen. Besser gesagt: Ich wurde überholt. Ich bin also ein eher betagtes Schiff. Oft werden wir Dampfschiffe ‚Alte Ladys’ genannt. Ich fühle mich zwar ziemlich männlich, ganz im Gegensatz zu beispielsweise meinen gleichaltrigen Kolleginnen Schaarhörn und Alexandra.

Heutzutage darf ich vor allem im Rahmen von festlichen Ehren-Anlässen glänzen, aktuell gerade am Flensburger Dampfrundum. Ja, wahrlich glänzen meine goldenen Frontziffern in der herrlichen norddeutschen Sonne.

Ich bin froh ein Museumsschiff zu sein. Meine Mannschaft pflegt mich mit äusserster Sorgfalt. Ich befinde mich in einem Top-Zustand, und nichts schmerzt. Darum machen mir solche Treffs mit meinen Kollegen, die von weit her kommen, grossen Spass. Ich freue mich sehr den Wal wieder zu sehen. Er ist mit Jahrgang 1938 unser jüngster Teamplayer und hatte es nicht so leicht im Leben wie ich. Musste er doch am Ende des zweiten Weltkrieges vollen Einsatz zeigen. Viele Deutsche, die von den Russen flüchten mussten, hat er gerettet und in Sicherheit gebracht. Keine schöne Aufgabe, aber eine sehr gute Tat. Andere Schiffe hatten viel furchtbarere Schicksale. Krieg ist leider nicht nur eine Landplage. Auch wir Schiffe wurden dafür missbraucht. Die einzige Welt, die bis heute von Kriegen verschont blieb, ist die Unterwasserwelt. Auch sie wird zwar missbraucht mit U-Booten. Aber im Unterwasserleben finden nie Kriege statt. Aber auch sonst würde ich mit dem Wal oder auch der Stettin nie tauschen wollen. Das sind Eisbrecher-Dampfschiffe. Da muss man mehr drauf haben, stärker und zäher gebaut sein als ich, der sich die goldenen Buchstaben in der Sonne wärmen lassen darf.

Meine Jahrgangs-Genossin Schaarhörn geht uns allen etwas auf die Nerven. Ihr hochnäsiges HH-Getue empfinden wir als zickig. Ich gebe zwar zu, die Dame ist top-schick. Ihre gold-weisse Ausstrahlung zieht so manchen in den Bann. Aber ich mag es doch etwas authentischer, und nicht so übertrieben vergoldet, gepützelt und überall glänzend poliert. Mein Freund, der Tonnenleger Bussard, hat besonders Mühe damit. Bei ihm, der eher einfach gepflegt und gehalten wird, kommt vielleicht auch ab und zu etwas Neid auf. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Wir alten Dampfschiffe halten zusammen. Wir sind Zeitzeugen und gemeinsam stolz darauf. Und trotzdem sind wir sehr verschieden und unvergleichbar. Darum will ich es auf keinen Fall verpassen auch zu erzählen, dass Schaarhörn gerade erst im erfolgreichen deutschen Kinofilm ‚Honig im Kopf’ einen prächtigen Auftritt auf die Leinwände gelegt hat. Das muss man ihr schon lassen, der edlen Kollegin.

Ausserdem kann Schaarhörn nicht mal viel dafür. Ihr goldener Glanz entstand sozusagen naturverbunden. Ihr Liegeplatz in Hamburg befindet sich direkt unter einer Gruppe Lerchen. In einem besonders goldenen Herbst fielen viel mehr Goldblätter auf das sonst schon edle Dampfschiff. Das herunterfallende Laub vergoldete die Schaarhörn im wahrsten Sinne. Ihre Crew war begeistert und verfeinerte die wertvolle Herbsttat zu einem – man darf fast sagen – Prunkschiff. Das ist ihr mit der Zeit in den Kopf gestiegen. Einmal, an einem früheren Flensburger Dampfrundum, war mein Steuermann, Henk, verletzt. Bei mir braucht es Mannskraft um das Ruder zu bewegen. Da reicht aber nicht irgendeine halbe Portion Mann. Es braucht so quasi eine menschliche Rudermaschine, die einem 300-Tonnen-Schiff wie mir gewachsen ist. Der damalige Ersatz-Steuermann, Hugo, hatte mich nicht wirklich im Griff. Ich bin zu schwer für ihn. Das habe ich schamlos ausgenutzt. Als ich am Dampfer-Rennen auf gleicher Höhe wie die Schaarhörn war liess ich kurz unbemerkt meine Kurbelwelle etwas schneller drehen. Als mein Heck auf der Höhe von Schaarhörns Steuerhaus war, wischte ich ihr mit meinem Ruder kurz aber kräftig eins aus. Die dadurch entstandene höhere Heckwelle prallte an Schaarhörns Rumpf und ihr Kapitän liess ihr Typhon vorwurfsvoll bzw. zum Gruss dröhnen. Diese Gelegenheit nahm sie wahr mir alle Schande herüber zu dröhnen. Die war so sauer. Bussard hinter uns hat so was von gelacht, dass ein paar kräuselnde Wellen auf der Wasseroberfläche entstanden. Erläutenderweise sollte ich erzählen, dass wir Dampfschiffe untereinander kommunizieren können. Jedoch nur wenn unsere Kapitäne sich gegenseitig grüssen. Das sind Gelegenheiten die wir als Kommunikation nutzen können.

Wir haben ein Leben lang unsere Pflicht getan und beweisen heute den Grundsatz ‚Altbewährtes hält am längsten’. Ja, wir dürfen uns ‚von-schreiben’ und stolz sein. Unsere modernen Kollegen sind viel anfälliger und empfindlicher als wir. Dampfschiffe gibt es sowieso keine modernen mehr. Ich habe gehört, dass zwar auch im Ausland gewisse Dampfschiffe erhalten blieben. Sie sind jedoch mit der Elekronik-Droge voll gepumpt worden. Das Unfassbarste was ich gehört habe als ich einen Tourist an Bord belauschte war, dass der Kapitän auf so einem modernisierten Dampfschiff ein Sprachrohr so quasi zur Show für die Passagiere bedient! Er gibt gar keine Durchsagen an die Maschinisten damit, sondern er tut nur so als ob. Das Wichtige am Manöver erledigt er durch einen Knopfdruck oder irgend so ein – die nennen das Joy-Stick. Bussard wusste bis vor kurzem nicht mal was ein Joy-Stick ist. Er hat von einer Touristin vernommen, ein Joy-Stick sei ein Objekt aus dem Erotikmarkt, oder so irgendetwas. Vielleicht haben wir es auch falsch verstanden. Jedenfalls bedienen die dort nicht mal einen altbewährten Telegraphen. Wir sind alte Kandidaten und kriegen die moderne Welt nur am Rande mit.

Leider hat man den heutigen modernen Schiffen die Seele genommen. Für uns sind sie böse gesagt ‚Tod-Geburten’. Sie sind Roboter. Ihr Herz ist ein Computer. In der heutigen Zeit nennt man das die übergreifende Elektronik. In unserer Welt gibt es keine Elektronik, sondern nur Mechanik. Unser Leben ist aus Mechanik bestimmt, das Leben unserer jüngsten Zeitgenossen aus Elektronik. Auf uns ist Verlass, solange man uns gut pflegt. Ich bezweifle sehr, dass auf unsere Jüngsten ebenso Verlass ist. So wie ich das beobachte gerät die heutige Elektronik aus dem Ruder und wächst den Crews über den Kopf.

Aber auch hier möchte ich das Thema etwas beschwichtigen. Unsere Mechanik ist zwar verlässlich, aber auch aufwändig. Es ist ein Krampf uns in Schuss zu halten. Die heutige Welt will diesen Krampf nicht mehr. Sie will alles schneller, einfacher und kostengünstiger erledigt haben. Ich gebe zu, meine Mechanik fühlt sich manchmal etwas knorzig an. Manchmal wäre ich gerne etwas beweglicher. Denken Sie jetzt nicht ich wünschte mir ein Segelschiff zu sein. Nein, das nicht, aber wir alten Dampfschiffe sind träge. Meine Mannschaft musste mich schon drei Tage vor dem heutigen Dampfer-Rennen in Flensburg vorheizen. Ich brauche unglaublich viel Zeit, bevor ich mich bewegen kann. Das passt halt einfach nicht mehr in die heutige Zeit. Die erwähnten Dampfschiffe im Ausland sind so nachgerüstet, dass man so quasi einsteigen und losfahren kann. Die brauchen nicht mal mehr Kohle! Die Maschine läuft mit Diesel-Öl. Das schafft ansatzweise höchstens unser Küken in unserem Bunde, der Wal. Er hat mit seinem Jahrgang – wie erwähnt 1938 - auch kein Kohlebergwerk mehr an Bord. Aber auch er ist ein Dampfschiff. Auch in ihm brennt ein Feuer, einfach entflammt durch Diesel-Öl statt durch die schwarzen Diamanten. Und immerhin klingt in ihm noch ein anständiger Telegraph! Ein Blinder kann sogar abschätzen was abgeht wenn er das Geräusch eines altbewährten mechanischen Telegraphen hört. Das wunderbare Klingeln, das aus seiner bezaubernder Messingfassung singt, überträgt sogar eine gewisse Vertrautheit. Der entsprechende Knopfdruck bei den Modernen hört man nicht mal! Für uns ist es ganz wichtig, dass alle Sinne unserer Mannschaft mitarbeiten. Man fühlt nicht nur, man hört, man sieht, man riecht. Es ist ein Tanz der Sinne, der uns bewegt.

Ich habe drei Herzen in Form von Zylindern in meiner Brust. Ein Tiefdruck-, Niederdruck- und ein Hochdruck-Zylinder. Das nennt sich auch ein 3fach-Expansions-System. Ich habe eine riesige Lunge in Form von drei Flammrohren. Ich liebe es möglichst tief zu atmen. Wenn die Maschinisten meine Lunge mit viel Kohle füttern gelingt mir die Atmung umso besser. Das gibt mir Kraft um meine Maschine zu bewegen.

Meine Maschine ist ein sehr intimer Bereich. Damit massiere und liebkose ich mich. Meine triefenden Antriebskurbeln reiben die Exzenter-Scheiben aneinander. Bei zunehmender Geschwindigkeit immer schneller, in gegenrhythmischen Bewegungen immer intensiver, geschmeidiger, schöner. Das empfinde ich als wunderbar belebend. In der menschlichen Welt würde man vielleicht von einem extasischen Empfinden sprechen. Bei uns ist das anders. Wir bleiben immer unter Kontrolle, und von Intimsphäre können wir nicht sprechen. Wir sind nie allein mit unserer heissgelaufener Maschine. Die Maschinisten sind immer da und wachen über uns. Das ist auch gut so. Sie kontrollieren stets unseren Öl-Haushalt. Regelmässig überprüfen sie den Füllstand unserer gläsernen Tropföler. Das Öl ist etwas vom wichtigsten für unsere sinnlichen Maschinen-Teile. Oft besuchen auch Gäste unsere Intimzonen. Fasziniert starren sie in unsere Bewegungen und lauschen gebannt unserem harmonischen Stahl-Konzert, das die mächtigen Flügel unserer Schrauben unter Wasser in Bewegung setzt. Nur das Geschehen im Inneren unserer Zylinder gehört uns ganz allein. Das Beben unter unseren Kolbenstössen empfinden nur wir.

À propos Schmier-Öl musste mein Freund Bussard vor ein paar Jahren eine besonders schmerzhafte Erfahrung machen. Der gute Tonnenleger musste sogar abgeschleppt werden. Seine Ruder-Uebersetzungs-Anlage war zuwenig geschmiert. Das fühlt sich im menschlichen Vergleich etwa so an als ob in einem Gelenk zwei verbundene Knochen schutzlos aufeinander reiben. Bussard verkrampfte sich dermassen vor Schmerz, dass sich die Zahnräder seiner Ruderanlage ineinander verzahnten, und alles blieb stecken. Nichts ging mehr. Die Crew konnte das Ruder nicht mehr bedienen geschweige denn an Bord reparieren. Es machte keinen Wank mehr. Ein Zahnrad war total zerstört und musste ersetzt werden. Es musste extra für Bussard neu geschmiedet werden. Er fiel solange aus, dass er nicht zum folgenden Hafengeburtstag in Hamburg kommen konnte. Auch ich fehle oft am Hafengeburtstag in Hamburg. Der Weg von Oslo nach Hamburg ist sehr teuer und aufwändig für mich.

Auch wenn ich Schaarhörn, der guten Königin von Hamburg, in Sachen Schönheit nicht das Wasser reichen kann, bin ich doch sehr stolz auf meine hölzerne Brücke mit den edlen Goldziffern. Ausserdem bleibe ich ganz sicher ungeschlagen im Bereich meiner inneren Schönheit. Mein Salon im Heck versetzt manchen Besucher ins Träumen. Die edlen türkisfarbenen Velours-Polster, die Messingornamente, die zur Schiffsform alternierende Kirschholz-Tische auf dem edlen Piniendeck und damit das ganze Ambiente lässt die Geister von früheren Passagieren wach werden. Man kann geradezu fühlen und hören wie damals die Stimmung in diesem atemberaubenden Salon war. Es fühlt sich an wie ein inneres Geheimnis, das….. – Ach Du Schreck, was läuft den da bei der Barkasse Mathilda??!! Um Gottes Willen! – Ach, und die Stettin….! Ein Knall – Um Himmels Willen! Huch! Schreiende Passagiere auf der Mathilda. Ich kann nicht helfen. Uff, zu spät…. Da löste sich eben die überspannte Steuerbord-Leine beim Anlegen der Barkasse. Ein Manöverfehler der Mannschaft. Die Klampe mochte die Leine nicht mehr halten und riss aus. Das Seil schnitt mit enormer Spannungskraft durch die Luft und peitschte die Klampe mit vollster Wucht an Stettins Eisbrecher-Rumpf. Zum Glück an den Köpfen der Passagiere vorbei. Und für Stettins Bauch gilt das als kaum eine Schürfung. Uff – was für eine Erleichterung.

Die Hamburgerin Stettin ist nicht unbedingt eine Schönheit, dafür eine umso spannendere Persönlichkeit. Ihre sympathische Bar hinter der unteren Fensterreihe der Brücke gilt als einer der beliebtesten Treffpunkte. Und sie ist schnell. Sie gewinnt praktisch immer unser Flensburger Dampfer-Rennen. Sie ist mit Jahrgang 1933 auch eine der jüngeren Genossen in unserem Bunde. Wie erwähnt sind sie und der Wal ehemalige Eisbrecher. Sie befreiten im Eis festsitzende Schiffe, oder sie schufen Fahrrinnen durchs Eis. Ohne unsere Eisbrecher wären viele von uns nicht ans Ziel gekommen in den kalten Jahreszeiten.

Mit ihrem grüssenden Typhon ruft mir die Stettin zu: ‚Autsch! - Hallo Freund Boroysund!’ ‚Besser eine knallende Klampe an deinen Ramm-Bug als an mich!’ antworte ich. ‚Na ja, es geschieht Schlimmeres’, dröhnt Stettin, ‚hast Du gehört vom bösartigen Fingerzeig auf Postjärnan ?’ Mein Kapitän zieht nochmals das Bedienungs-Seil für meine Dampf-Pfeife und ich nutze die Gelegenheit und pfeife zurück: ‚Unglaublich nach so vielen Jahrzehnten! Das ist unfein!’ DS Postjärnan bekommt immer wieder die Altlasten der tragischen Geschichte von 1956 zu spüren. Ihre schwedische Kollegin Stockholm überlebte damalige Unglück mit der italienischen Andrea Doria, die tragisch sank. Und leider wird gemunkelt, dass es nicht so schlimm hätte enden müssen. Hätte die Mannschaft der Stockholm den Bug dicht verkeilt im Rumpf der Andrea Doria gelassen, wäre diese nicht so schnell und mit entsprechend weniger Toten gesunken. Aber die Maschinen der Stockholm schlugen gleich nach der Kollision nach rückwärts. Unglücklicherweise war auch noch das Ruder gelegt. Knirschend und drehend löste sich der Bug aus dem wunden Leck der Andrea Doria. Entsprechend schneller gossen sich die unheilvollen Wassermassen in das leidende Schiff. Eine alte leide Geschichte, die unsere Kollegin Postjärnan immer wieder aufgetischt kriegt.

Doch wir sind immer noch da. Heute und jetzt, unter dem blauen Himmel von Flensburg verzaubern wir die Besucher, und unsere stampfenden Maschinen übertragen ein Gefühl von Entspannung und Geborgenheit. Neben uns wölkt sich der Qualm aus dem dreifarbigen Kamin der einheimischen Alexandra, und die kleine Dänin Skjelskor lacht uns zusammen mit ihren dicht besetzten Gästen entgegen.